Hintergrundinformationen

Gabriele Langer, Susanne König, Reiner Konrad

Erstellung und Aufbau

Einleitung

Wie schon bei den vorangegangenen, in dieser Reihe erschienenen Fachgebärdenlexika machen wir auch beim Fachgebärdenlexikon Gesundheit und Pflege, im Folgenden kurz GLex genannt, die Methoden unserer Arbeit transparent und die Ergebnisse unserer sprachwissenschaftlichen Analyse allen interessierten Benutzern zugänglich. Um gezielt Fachbegriffe im den Lexikoneinträgen nachzuschlagen (Fachbegriffe: Deutsch A-Z), ist es nicht notwendig, sich mit den folgenden Hintergrundinformationen zu beschäftigen. Sie sind in erster Linie hilfreich für denjenigen, der die den Gebärdeneinträgen (z.B. GLOSSEN: Konventionelle Gebärden) zugrunde liegenden Zusammenhänge nachvollziehen will.

Der erste Teil, Erstellung und Aufbau des Fachgebärdenlexikons, skizziert das methodische Vorgehen von der Auswahl der Fachbegriffe über die Erhebung der Gebärden, ihre Dokumentation und Auswertung bis hin zur Auswahl der Gebärden und der Produktion des Fachgebärdenlexikons. Im zweiten Teil gehen wir auf die lexikalische Struktur der DGS, die Bildhaftigkeit von Gebärden und die Beziehungen zwischen Gebärden ein, die sich aus der Analyse der erhobenen Daten ergeben und in den Gebärdeneinträgen für jede Gebärde beschrieben werden. Im dritten Teil wird das Transkriptionsverfahren näher erläutert. Im Glossar linguistischer Fachbegriffe sind die von uns verwendeten Fachbegriffe zur Beschreibung der Gebärden und der theoretischen Hintergründe alphabetisch aufgelistet und jeweils mit einer kurzen Definition versehen.

Erstellung und Aufbau des Fachgebärdenlexikons

Auswahl der Fachbegriffe und Begriffserklärungen

Das Fachgebärdenlexikon Gesundheit und Pflege enthält 1011 Fachbegriffe, von denen über 560 ausführlich erklärt werden. Zirka 450 Fachbegriffe enthalten eine Kurzdefinition oder einen Verweis auf einen anderen Fachbegriff, in dessen Definition sie im Kontext erklärt und verwendet werden. Neben diesen über 1000 Fachbegriffen, die mit knapp 200 Abbildungen illustriert sind, wurden 450 synonyme Bezeichnungen mit aufgenommen. Zum Beispiel findet man in der alphabetischen Auflistung der Fachbegriffe (Fachbegriffe: Deutsch A - Z) unter der Bezeichnung Regenbogenhaut einem Verweis auf Iris. Beim Eintrag Iris wird auf Auge verwiesen, wo die Iris im Kontext erklärt wird und in einer Abbildung zum Aufbau des Auges ausgewiesen ist.

Das Fachgebärdenlexikon Gesundheit und Pflege richtet sich an Auszubildende in Gesundheits- und Pflegeberufen sowie deren Ausbilder. Gleichzeitig soll es helfen, die Arzt-Patient-Kommunikation zu verbessern und zu einem besseren Verständnis Gehörloser für gesundheitliche Zusammenhänge beitragen. Bei der Auswahl der Fachbegriffe wurden daher neben den für die verschiedenen Ausbildungen im Gesundheitswesen zentralen Begriffen auch die Bedürfnisse von Gehörlosen und Gebärdensprachdolmetschern berücksichtigt. Neben Krankheiten sind Schwangerschaft und Geburt Lebenssituationen, in denen Gehörlose verstärkt Informationen, Beratung und Hilfe suchen. Daher wurden über 180 Begriffe zu den Themen Schwangerschaft und Geburt in das Lexikon aufgenommen. Ergänzt wurde diese Auswahl durch knapp 80 Begriffe zu den Bereichen Sexualität und Fortpflanzung.

Für einen thematischen Zugriff wurden die Fachbegriffe 17 Sachgruppen und 53 Untergruppen zugeordnet, wobei Mehrfachzuordnungen vorkommen. Da anatomische Bezeichnungen für Organe und Strukturen des Körpers sowie medizinische Begriffe für Krankheiten in den Arbeitsfeldern Gesundheit und Pflege grundlegend sind, bilden Fachbegriffe zu diesen Sachgruppen den Schwerpunkt des vorliegenden Lexikons. Danach folgen Fachbegriffe zu Symptomen und Beschwerden, Diagnose- und Therapieverfahren. Über 150 Fachbegriffe sind aus dem Gesundheitswesen, knapp 130 aus dem Bereich Pflege.

Da ein Fachgebärdenlexikon Psychologie (Arbeitsgruppe Fachgebärdenlexika 1996) bereits vorliegt, wurden insbesondere psychische Erkrankungen sowie psychologische Diagnoseverfahren und Therapien nicht mit aufgenommen. Um die Auswahl der Fachbegriffe für das Fachgebärdenlexikon Gesundheit und Pflege jedoch abzurunden und nicht auf ein anderes Lexikon verweisen zu müssen, sind knapp 100 Begriffe in beiden Lexika zu finden, wobei die Erklärungstexte unterschiedliche Schwerpunkte setzen oder aktualisiert wurden, wie z.B. beim Eintrag Down-Syndrom. Ebenso gibt es bei knapp 30 Einträgen eine Überschneidung mit dem Fachgebärdenlexikon Sozialarbeit/Sozialpädagogik (Konrad u.a. 2003).

Die Erklärungstexte der Fachbegriffe sind und in einem allgemein verständlichen Deutsch abgefasst und enthalten die wichtigsten Informationen, die in systematischer Weise angeordnet sind. Dabei wurde insbesondere darauf geachtet, dass Zusammenhänge, z.B. zwischen Ursachen und Symptomen einer Krankheit oder zwischen dem eigenen Verhalten und den gesundheitlichen Konsequenzen, deutlich werden. Damit bietet das vorliegende Lexikon die Möglichkeit, Vorgänge am eigenen Körper besser zu verstehen und mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Weiterhin wurden pflegerische Aspekte bei den verschiedenen Krankheitsbildern berücksichtigt.

Sowohl die Auswahl der Fachbegriffe als auch die Begriffserklärung unterlag zeitlichen, finanziellen und praktischen Produktionszwängen. Wer weiterführende, differenzierte Informationen sucht, sei auf Standard-Nachschlagewerke der Medizin und Pflege verwiesen. Die Erklärungen wurden mit großer Sorgfalt erstellt und von einer Ärztin auf ihre Richtigkeit, Zuverlässigkeit und Aktualität gegengelesen. Dennoch sind Fehler nicht auszuschließen. Für Folgen, die sich aus der Verwendung der hier gegebenen Informationen ergeben, kann der Verlag keine Haftung übernehmen. Insbesondere muss in Notfällen und gesundheitlichen Krisensituationen immer professionelle Hilfe gesucht werden. Ebenso sollte vor der Einnahme von Medikamenten immer der Beipackzettel gelesen werden.

Gebärdenerhebung

Die im GLex gezeigten Übersetzungen der Fachbegriffe in die DGS wurden aus einem Korpus empirisch erhobener Sprachdaten ausgewählt. Wir konnten 16 gehörlose Fachleute aus verschiedenen Bundesländern und zwei Gebärdensprachdolmetscher als Informanten für die Gebärdenerhebung gewinnen. Die gehörlosen Informanten hatten vor der Erhebung (Herbst/Winter 2004/2005) eine Ausbildung bzw. ein Studium in einem Gesundheitsberuf absolviert und/oder arbeiteten in einem entsprechenden Beruf. Die zwei hörenden Gebärdensprachdolmetscher, davon einer Kind gehörloser Eltern, arbeiteten vorwiegend in medizinischen oder gesundheitsbezogenen Kommunikationssituationen.

Mit jedem der Informanten führten gehörlose Projektmitarbeiter zuerst anhand eines Fragebogens ein kurzes Interview durch, in dem der sprachliche und soziale Hintergrund der Person erfragt wurde. Danach folgte ein halb- bis einstündiges Gespräch.1Diese Gespräche wurden nur selektiv transkribiert, waren jedoch für die Einschätzung der Informanten, deren Antworten bei der Abfrage der Fachbegriffe transkribiert werden sollten, wichtig. Bei der Transkription dienten sie zur stilistischen oder dialektalen Einordnung einiger von der jeweiligen Person gezeigten Gebärden sowie zur Absicherung verwendeter Gebärden für Fachbegriffe. Darin wurden bestimmte Themenbereiche angesprochen, die im Zusammenhang mit der Ausbildung und der beruflichen Tätigkeit des Informanten stehen. Im Anschluss an das Gespräch wurde jeder Informant gebeten, anhand einer Zeichnung aus einem medizinischen Fachbuch eine der folgenden vier körperlichen Funktionen zu erklären: Atmung, Blutkreislauf, Schwangerschaft, Verdauung. Diese kurzen fachlichen Erklärungen sollten Aufschluss darüber geben, ob Fachbegriffe im Kontext anders gebärdet werden als bei der Abfrage isolierter Fachbegriffe. Die Abfrage, bei der deutsche Wörter gezeigt wurden, bildete den letzten Teil der Erhebung. Bei über 250 Fachbegriffen wurden zusätzlich auch Abbildungen gezeigt.

Diese Methode der Elizitation liefert nur eingeschränkt verlässliche natürlichsprachliche Daten, jedoch haben wir schon in vorangegangenen Projekten die Erfahrung gemacht, dass die Informanten relativ konsistent dieselben Gebärden für einen Fachbegriff bei der Abfrage wie im Gespräch benutzen. Um sicherzustellen, dass die Informanten den abgefragten Fachbegriff kennen, erhielt jeder Informant einige Monate vor der Erhebung eine vollständige Begriffsliste, die neben den über 1000 Fachbegriffen auch etwa 450 Synonyme enthielt. Auf dieser Liste sollte jeder Informant ankreuzen, ob er den Fachbegriff kennt und ob er ihn in die DGS übersetzen kann. Zusätzlich konnten die Informanten angeben, dass sie zwar keine Gebärde kennen, jedoch einen Vorschlag für eine passende Gebärde haben. Fachbegriffe, die ein Informant als unbekannt angekreuzt hatte oder für die er keine Gebärde kennt, wurden bei ihm nicht abgefragt. Auf diese Weise wurde individuell für jeden Informanten eine eigene Liste mit Fachbegriffen erstellt, die bei der Erhebung verwendet wurde. Die Zahl der abgefragten Begriffe pro Informant variierte zwischen 420 und 1350.

Um die Belastung für die Informanten möglichst gering zu halten und verlässliche Antworten zu bekommen, wurde bei der Erhebung eine kommunikative Abfragesituation hergestellt. Bei der Entwicklung des Erhebungsdesigns konnte auf die Erfahrungen aus den Erhebungen zu den vorangegangenen Fachgebärdenlexika zurückgegriffen werden. Für die Abfrage wurden die Begriffe in 64 Sachgruppen eingeteilt und innerhalb einer Sachgruppe nach inhaltlichen Aspekten angeordnet. Die individuell abgestimmte Begriffsliste wurde in Einheiten von maximal fünf bis sieben Fachbegriffen abgefragt. Diese wurden in einem ersten Durchgang gezeigt und der Informant konnte sich überlegen, wie er diese Begriffe gebärdet. Bei Schwierigkeiten oder Unsicherheit konnte er sich mit dem Interviewer über diese unterhalten. In der Kommunikation sollte deutlich werden, ob der Informant sich sicher oder unsicher ist und wie er selbst seine Übersetzung des Fachbegriffs einschätzt. In einem zweiten Durchgang wurden die fünf bis sieben Begriffe wiederholt und der Informant gebärdete zu jedem Begriff die Übersetzung, für die er sich entschieden hatte. Dabei konnte er Begriffe auslassen, auf später verschieben oder bereits gezeigte Gebärden korrigieren. Zur Entlastung des Interviewers und um eine möglichst vollständige Dokumentation zu erreichen, war bei der Begriffsabfrage noch eine dritte gehörlose Person aus dem Projektteam anwesend, die die Situation beobachtete und protokollierte, jedoch nicht auf Video aufgenommen wurde. Sie konnte den Interviewer auf unklare Situationen oder Auslassungen hinweisen und verglich die Äußerungen des Informanten in der Erhebungssituation mit seinen früheren schriftlichen Angaben auf der Begriffsliste. Am Ende der Erhebung wurden Korrekturen oder Übersetzungen für Begriffe aufgenommen, die der Informant aufgeschoben hatte.

Die Aufnahmen, auf denen durchgehend Interviewer und interviewte Person zu sehen sind, wurden im Institut für Deutsche Gebärdensprache gemacht. Für die Erhebung wurden pro Informant zwei Tage benötigt.

Dokumentation und Auswertung

Zunächst wurden alle Gespräche, fachlichen Erklärungen sowie die Abfragen der Fachbegriffe von den gehörlosen Mitarbeitern gesichtet. Für jedes Gespräch wurde ein Inhaltsprotokoll angefertigt. Gleichzeitig wurde eine Einschätzung der gebärdensprachlichen Kompetenz des jeweiligen Informanten anhand verschiedener Kriterien vorgenommen.2Die gehörlosen Mitarbeiter werteten die Gespräche danach aus, ob die Person natürlich gebärdet, viel oder wenig Mundbild oder Mimik verwendet, wie sie den Gebärdenraum nutzt, wie sie den Körper beim Gebärden einsetzt und ob fachlich relevante Inhalte vorkommen. Zusätzlich wurden die Antworten auf die Abfrage der Fachbegriffe bewertet. Durch die verbesserte Dokumentation der Erhebung konnte zu jeder Antwort sowohl eine aus dem Material ersichtliche Selbsteinschätzung des Informanten sowie eine Einschätzung des gehörlosen Mitarbeiters, der das Material gesichtet bzw. später transkribiert hat, vorgenommen werden.

Anhand der Ergebnisse der Sichtung wurden von den 18 Informanten zehn3 ausgewählt.4Aus Zeitgründen konnten wir nicht alle erhobenen Daten berücksichtigen. Über das Ergebnis der Sichtung hinaus haben wir einige Personen für die Transkription ausgewählt, wenn dadurch ein weiteres Bundesland und damit mögliche regionale Gebärdenvarianten vertreten waren. Weiterhin wurden selektiv die Antworten von Informanten berücksichtigt, die zu Fachbegriffen einer Sachgruppe überdurchschnittlich viele Antworten gaben, da dies als Hinweis gewertet wurde, dass sie in diesem Bereich eine besondere fachliche Kompetenz haben. Die Antworten dieser zehn Informanten auf die Abfrage der Fachbegriffe stellen im Wesentlichen das Datenkorpus5Insgesamt ergab die Sichtung knapp 53 Stunden Videomaterial mit 14903 Antworten, die sich aus 25481 Einzelgebärden (Vorkommen) zusammensetzen. dar, das im Anschluss an die Sichtung transkribiert wurde. Zusätzlich zu den Antworten wurden selektiv die Gebärden transkribiert, die in den Gesprächen vorkommen und DGS-Entsprechungen der Fachbegriffe aus der Erhebungsliste sind. Außerdem wurden die fachlichen Erläuterungen aller Informanten transkribiert.

Aus den Interviews zur sozialen Situation der Informanten zum Zeitpunkt der Erhebung ergeben sich folgende Angaben zu den 10 Informanten, die anhand der Sichtung ausgewählt wurden: 8 Informanten sind weiblich, 2 männlich; sie waren zur Zeit der Erhebung zwischen 29 und 50 Jahre alt und wohnten in folgenden Bundesländern: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen; 7 Personen sind gehörlos, 2 Personen sind schwerhörig, 1 Person hörend, als Kind gehörloser Eltern aufgewachsen und als Dolmetscher im medizinischen Bereich tätig; 6 Personen sind seit ihrer Geburt gehörlos bzw. schwerhörig, 1 Person ertaubte zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat, eine weitere Person im Alter von 1,5 Jahren, 1 Person war schwerhörig und ist im Alter von 23 Jahren ertaubt.

8 Personen haben hörende, 2 Personen gehörlose Eltern; 4 Personen haben hörende Geschwister, 1 Person schwerhörige, 2 Personen gehörlose und hörende Geschwister. 4 Personen haben oder hatten einen gehörlosen, 4 Personen einen schwerhörigen und 2 Personen einen hörenden Partner; 2 Personen haben gehörlose Kinder, 1 Person hörende Kinder.

DGS erwarben 5 Personen in den ersten 3 Lebensjahren in der Familie oder im Gehörlosenkindergarten, 1 Person mit 5 Jahren ebenfalls im Kindergarten, 3 Personen ab 6 Jahren in der Gehörlosenschule, 1 Person erst ab 21 Jahren im Freundeskreis. Alle 10 Personen haben privaten Kontakt zu anderen Gehörlosen und besuchen manchmal oder regelmäßig Veranstaltungen von Gehörlosen. 6 Personen haben gehörlose Arbeitskollegen, 3 Personen haben keine und 1 Person hatte früher gehörlose Arbeitskollegen; 6 Personen arbeiten mit gehörlosen Patienten, 2 hatten früher mit gehörlosen Patienten zu tun.

2 Personen haben ein Medizinstudium absolviert und arbeiten als Ärzte, 1 Person hat Krankenpflege gelernt und arbeitet in der Pflege, 2 Personen haben eine Ausbildung zum Masseur, 1 Person ist Ergotherapeut, 1 Person Physiotherapeut, 1 Person hat nach der Ausbildung zum Zahntechniker Sozialarbeit/Sozialpädagogik studiert und arbeitet seit 2 Jahren in diesem Beruf, 1 Person hat Gebärdensprachdolmetschen und Betriebswirtschaft studiert und arbeitet als Dolmetscher in einer Klinik, 1 Person ist medizinisch-technischer Assistent (MTA) und arbeitet seit 13 Jahren beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Neben den Daten aus der Erhebung wurde eine Sammlung von über 300 Gebärden transkribiert, die in der Gotthilf-Vöhringer-Schule für die Ausbildung Gehörloser zum Heilerziehungspfleger oder Arbeitserzieher verwendet werden. Diese wurden uns dankenswerterweise von Claudia Madei-Hötzel als Video zur Verfügung gestellt. Des Weiteren wurde eine umfangreiche Gebärdensammlung zu medizinischen Fachbegriffen, die Dr. med. Andreas Paulini in den 1990er Jahren als Medizinstudent angelegt hatte, transkribiert und mit den Antworten aus der Erhebung verglichen.

Für die Transkription wurden die Aufnahmen als digitalisierte Videofilme an eine relationale Datenbank6Es handelt sich hierbei um einen SQL-Server und einen speziell für die Zwecke der Transkription entwickelten Client, der eine schnelle Erfassung der Daten sowie einen gezielten Zugriff und verschiedene Sichten auf die Daten ermöglicht. Eine genauere Beschreibung findet sich in Hanke 2002. angebunden. Das ermöglicht einen gezielten und schnellen Zugriff auf die Originaldaten. Die Struktur der Datenbank unterstützt den Transkriptionsprozess, indem sie die Erstellung von Transkripten für verschiedene Gebärdenfilme mit einem Gebärdenlexikon kombiniert. In diesem Gebärdenlexikon sind alle in den verschiedenen Korpora vorkommenden und transkribierten Gebärden enthalten, das heißt man kann sich zu einer Gebärde alle vorhandenen Fundstellen als Videofilm anzeigen lassen und vergleichen. Dadurch wird eine hohe Konsistenz der Transkripte gewährleistet. Neben Informationen zu den Informanten, zur Erhebungsart und Sichtung der Filme werden Form, Bedeutung und Äußerungskontext eines Vorkommens erfasst und lexikalischen oder produktiven Gebärden zugeordnet. Zur eindeutigen Identifikation werden unterschiedliche Gebärden mit verschiedenen Glossen benannt. Darüber hinaus wird die Form einer Gebärde mit dem Hamburger Notationssystem (HamNoSys) erfasst (s. Erläuterungen zur Transkription). Ebenso werden Strukturen und Beziehungen zwischen diesen Einheiten dokumentiert, z.B. die Beziehungen zwischen Gebärden (GrundformModifikation, Ausführungsvarianten oder Verweise auf formgleiche und formähnliche Gebärden).

Auswahl der Gebärden

Für die Auswahl der DGS-Entsprechungen für den jeweiligen Fachbegriffe standen die vollständig transkribierten Antworten der zehn Informanten sowie weitere Antworten der übrigen acht Informanten, die selektiv ausgewertet wurden, zur Verfügung. Weiterhin konnte über den Fachbegriff auf die Sequenzen aus den Gesprächen und den fachlichen Erläuterungen zugegriffen werden. Ebenfalls wurden die Gebärdensammlung von Paulini zu den medizinischen Fachbegriffen sowie die in der Ausbildung Gehörloser zum Heilerzieher eingesetzten Gebärden berücksichtigt. Die Auswahl wurde im Anschluss an die Dokumentation und Auswertung anhand verschiedener Kriterien getroffen.7Jedes Datenkorpus stellt eine zufällige und in gewisser Weise willkürliche Auswahl sprachlicher Einheiten und Phänomene dar. Dieses Fachgebärdenlexikon kann daher nicht alle Gebärden enthalten, die als Übersetzung für einen Fachbegriff möglich sind. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass wir uns in einzelnen Fällen geirrt haben. Die quantitative und qualitative Analyse sprachlicher Einheiten auf der Grundlage eines Korpus hat aber den entscheidenden Vorteil, Entscheidungen nachvollziehbar, überprüfbar und korrigierbar zu machen. Benutzten mehrere Informanten für die Übersetzung eines Fachbegriffs gleiche Gebärden oder Gebärdenketten, so war dies ein starker Hinweis auf eine passende und akzeptable Übersetzung. Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl war, ob die Antworten zögerlich geäußert wurden oder die Person einen unsicheren oder unzufriedenen Eindruck machte. Alle Gebärden oder Gebärdenketten wurden daraufhin beurteilt, ob sie geeignet sind, den Inhalt des Fachbegriffs wiederzugeben. In Zweifelsfällen war das Sprachgefühl der gehörlosen Mitarbeiter ausschlaggebend. Um die starke Körperbezogenheit vieler Gebärden im GLex angemessen aufzugreifen, wurden teilweise exemplarisch Modifikationen von Gebärden an einer bestimmten Körperstelle zusätzlich zur Grundform ausgewählt. Bei diesen Gebärden findet sich im Lexikoneintrag rechts neben den Glossen grau unterlegt ein Hinweis darauf, dass sie auch an anderen Körperstellen ausgeführt werden können.

Gebärden, die als Bestandteil von Gebärdenketten mehr als einmal vorkommen, sind nicht bei jedem Fachbegriff aufs Neue ausgewählt. Um Dopplungen zu reduzieren, wurden sogenannte Nester gebildet, in denen alle Gebärden enthalten sind. Ein Nest wurde in der Regel beim alphabetisch ersten Auftreten des Begriffs(teils) bzw. dort, wo der Fachbegriff nicht als Teil eines Kompositums vorliegt, angelegt. So finden sich z.B. unter Krebs verschiedene Gebärdenformen als Entsprechung zum Fachbegriff Krebs. Bei dessen Zusammensetzungen wie z.B. Brustkrebs wird dann nur noch eine Gebärde für Krebs gezeigt.

Die Auswahl aus einem empirisch erhobenen Datenkorpus soll sicherstellen, dass die im Fachgebärdenlexikon gezeigten Übersetzungen unter Gehörlosen gebräuchlich oder zumindest für Gehörlose unmittelbar verständlich und nachvollziehbar sind. Dieses Vorgehen macht es darüber hinaus möglich, den Erhebungsstatus einer Übersetzung anzugeben. Jede zu einem Fachbegriff gezeigte Übersetzung hat ein Statussymbol, das anzeigt, ob eine Übersetzung von einer oder mehreren Personen gezeigt wurde, ob es sich um neu kombinierte Gebärdenketten oder neue Gebärden-Mundbild-Kombinationen handelt oder ob ein neuer Übersetzungsvorschlag gemacht wird.

Produktion

Die ausgewählten DGS-Entsprechungen wurden von gehörlosen Projektmitarbeitern im Studio nachgebärdet. Weiterhin wurden alle in den Übersetzungen enthaltenen konventionellen Gebärden nochmals als Filme isoliert und ohne Mundbild aufgenommen.8Da eine konventionelle Gebärde mit verschiedenen Mundbildern kombiniert werden kann (s. Verwendungen konventioneller Gebärden), wurde bei der Darstellung der manuellen Form bewusst auf das Mundbild verzichtet, um nicht eine Gebärde-Mundbild-Kombination einer anderen vorzuziehen. Nach den Studioaufnahmen wurden alle Übersetzungen als digitale Fotos aufgenommen. Diese Fotos wurden mit Bewegungspfeilen versehen und für die Buchversion verwendet. Durch die Layout-Automatisierung konnten die Buch- und HTML-Seiten direkt aus der Datenbank produziert werden.

Aufbau und Inhalte des Fachgebärdenlexikons

Das Fachgebärdenlexikon besteht im Wesentlichen aus zwei Arten komplexer Informationseinheiten, den Lexikoneinträgen (Fachbegriffe: Deutsch A - Z) und den Gebärdeneinträgen (z.B. GLOSSEN: konventionelle Gebärden).

Die Lexikoneinträge sind vor allem fachlich orientiert und konzentrieren sich auf relevante Informationen und Gebärden zu den Fachgebieten Gesundheit und Pflege. Sie enthalten das eigentliche Fachgebärdenlexikon mit deutschen Fachbegriffen, Definitionstexten und Entsprechungen bzw. Übersetzungen der Fachbegriffe in DGS. Der primäre Zugriff zu diesen Informationen erfolgt über den deutschen Fachbegriff, zu dem entweder Sachinformationen (Definition, Abbildungen, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie) oder sprachliche Informationen (Synonyme, englische Übersetzung oder DGS-Entsprechungen) nachgeschlagen werden können (siehe auch Aufbau eines Lexikoneintrags). Ein Nachschlagevorgang setzt die Kenntnis des lautsprachlichen Fachbegriffs voraus. Die Benutzung der Lexikoneinträge geht also von Deutsch als Ausgangssprache aus und behandelt DGS als Zielsprache.

Die Gebärdeneinträge (z.B. GLOSSEN: konventionelle Gebärden) bieten vor allem gebärdensprachorientierte Informationen zu allgemeinen Aspekten der Gebärden. Sie bilden im Grunde genommen ein kleines DGS-Wörterbuch, das jedoch auf die in den Lexikoneinträgen vorkommenden Gebärden beschränkt ist. Alle Gebärden, die in den DGS-Übersetzungen der Fachbegriffe vorkommen, werden in den Gebärdeneinträgen als isolierte Gebärden (Einzelgebärden) mit einer Reihe von Informationen zu ihrer Verwendung (z.B. Bedeutungen, Gebärdenraumnutzung, Modifikationen, ggf. Dialektgebiet) aufgeführt (siehe auch Aufbau eines Gebärdeneintrags). Die Gebärdeneinträge bieten dem Benutzer die Möglichkeit, mehr zu den konventionellen DGS-Gebärden und ihrer Verwendung zu erfahren. Viele der aufgeführten Einzelgebärden können ggf. auch zur Übertragung von Wortteilen weiterer, nicht im Fachgebärdenlexikon aufgeführter mehrteiliger Fachbegriffe eingesetzt werden. Von den Gebärdeneinträgen wird jeweils auf die zugehörigen Lexikoneinträge verwiesen. Auf diese Weise ist eine zusätzliche Zugriffsmöglichkeit auf die Inhalte des Fachgebärdenlexikons über die enthaltenen Gebärden gegeben.

Die DVD- bzw. Internetversion des GLex bietet zwei Möglichkeiten, nach Gebärden über ihre Formeigenschaften zu suchen:

Bei der Suche über die Gebärdenform kann man auf bequeme Weise verschiedene Kombinationen mehrerer Formaspekte angeben und so gezielt nach Gebärden mit bestimmten Formeigenschaften suchen (siehe auch Benutzungshinweise zur Suche über Gebärdenform).
Unter Handformen hat man eine Zugriff auf die Gebärden über die Handformen. Die Handformen werden mithilfe von HamNoSys-Symbolen dargestellt (siehe auch Benutzungshinweise zur Suche über Handformen).

Da in den Gebärdeneinträgen sowohl konventionelle Bedeutungen aufgelistet werden als auch von den Gebärdeneinträgen auf die Verwendung der Gebärden in den Lexikoneinträgen verwiesen wird, ist mithilfe der Suche über die Gebärdenform zumindest ansatzweise auch die Benutzungsrichtung DGS – Deutsch möglich.

Im GLex haben wir die Angaben in den Gebärdeneinträgen gegenüber dem Fachgebärdenlexikon Sozialarbeit/Sozialpädagogik (Konrad u.a. 2003) weiter ausgebaut. Insbesondere findet man in den Gebärdeneinträgen nun eine eigene Rubrik „Bedeutung“, unter der konventionelle Bedeutungen der jeweiligen Gebärde in Form möglicher Übersetzungen ins Deutsche angegeben sind. Auch wenn die Auflistung der Bedeutungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und aufgrund unserer Datenlage in vielen Fällen nur vorläufigen Charakter haben kann, wird damit der Bedeutungsumfang der Gebärden angedeutet. Unter Bedeutungen konventioneller Gebärden kann man nach Gebärden mit einer bestimmten konventionellen Bedeutung suchen (siehe auch Benutzungshinweise zur Suche über Bedeutungen konventioneller Gebärden).

Bemerkungen zur medizinischen Fachsprache

Für die meisten Fachgebiete bildet sich mit der Zeit eine sogenannte Fachsprache heraus. Fachsprachen dienen in erster Linie der Kommunikation unter Fachleuten und weisen daher vor allem in ihrem Wortschatz einen hohen Grad an Differenzierung und Präzision auf. Fachsprachliche Texte sind für Laien häufig nicht unmittelbar verständlich. Das liegt zum einen daran, dass Laien in der Regel die Inhalte und Zusammenhänge nicht so genau kennen, über die kommuniziert wird, und zum anderen, dass ihnen die verwendeten fachsprachlichen Ausdrücke nicht geläufig sind.

Fachbegriffe sind im Deutschen häufig Fremdwörter. Aber auch Begriffe, die aus der Alltagssprache stammen, können zu Fachbegriffen werden, wenn sie im fachlichen Kontext eine präzisere, engere oder anders definierte Bedeutung erhalten. Der hohe Grad an inhaltlicher Differenzierung bei speziellen Themen führt darüber hinaus im Deutschen dazu, dass viele Fachwörter Komposita sind. Manche Fachwörter finden Eingang in den allgemeinsprachlichen Gebrauch. Dabei können sich ihre Bedeutungen erweitern oder verändern.

Im medizinischen Bereich stammen viele lautsprachliche Fachbegriffe ursprünglich aus der lateinischen oder griechischen Sprache. Daneben gibt es oft auch gleichbedeutende allgemeinsprachliche Wörter, sodass in vielen Fällen mehrere Bezeichnungen für denselben Sachverhalt verwendet werden z.B. Ultraschalluntersuchung und Sonographie oder Selbstmord und Suizid. Im Fachgebärdenlexikon Gesundheit und Pflege haben wir uns bei der Wahl des lautsprachlichen Lemmas daran orientiert, welche der synonymen Bezeichnungen im allgemeinen Sprachgebrauch geläufiger ist. Synonyme allgemein- und fachsprachlicher Begriffe sind jedoch im jeweiligen Eintrag unter „Auch“ aufgeführt.

Inwieweit sich in der DGS Fachsprachen für verschiedene Sachgebiete herausgebildet haben, ist bisher nicht eingehend erforscht. Insbesondere in Ausbildungskontexten und im Berufsleben wird sich die fachsprachliche Kommunikation in der Praxis wohl nur selten in einer rein gebärdensprachlich geprägten Umgebung und ohne Beteiligung von hörenden Fachleuten, Kollegen oder Patienten abspielen. Vor allem im Berufsleben und in spezialisierten Bereichen ist die Einbettung in die hörende Gesellschaft besonders intensiv. Aus diesem Grund kann auch die fachsprachliche Kommunikation in DGS kaum ohne die Kenntnis und eine ständige Bezugnahme auf lautsprachliche Fachwörter auskommen, zumal auch Texte und die schriftliche Kommunikation über fachliche Inhalte mithilfe der Lautsprache bewältigt werden müssen. Diese Umstände führen dazu, dass lautsprachliche Fachbegriffe bei gehörlosen Fachleuten ständig präsent sind und daher auch beim Gebärden selbstverständlich, z.B. durch den Mundbildgebrauch, auf sie zurückgegriffen werden kann. Es ist also gerade für fachliche Kontexte zu erwarten, dass der Einfluss der Lautsprache auf die Gebärdenverwendung bei gebärdeter fachsprachlicher Kommunikation besonders groß ist. Unserer Einschätzung nach ist in vielen Bereichen die fachsprachliche Kommunikation in DGS stark von den relevanten lautsprachlichen Fachwörtern geprägt, die meist als Mundbild verwendet und als Lehnübersetzungen mehr oder weniger direkt in Gebärden übertragen werden.

Für die Bereiche Gesundheit und Pflege lassen sich einige durch das Fachgebiet bedingte Besonderheiten bei der Gebärdenverwendung beobachten. Viele Sachverhalte im Zusammenhang mit Gesundheit, Krankheit und Pflege haben mit ganz konkreten Dingen und Abläufen vor allem am und im Körper zu tun, die anschaulich dargestellt werden können. Dies begünstigt die Entwicklung von bildhaften Gebärden und den Gebrauch produktiver Gebärdenformen. Weil der Körper als Referenzmodell immer präsent und verfügbar ist, gibt es dabei besonders viele Gebärden, die am Körper oder mit Körperbezug ausgeführt werden (siehe dazu auch Gebärdenraumnutzung und insbesondere das Unterkapitel Körperbezogen variierbare Gebärden). Darüber hinaus bietet es sich an, mithilfe indexikalischer Gebärden am eigenen Körper auf bestimmte Körperstellen zu verweisen.

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