Erläuterungen zur Transkription

Transkription ist eine Technik der sprachwissenschaftlichen Analyse, mit der sprachliche Daten in einer schriftlichen Form festgehalten werden. Ziel der Transkription im Rahmen der Erstellung eines Fachgebärdenlexikons ist es, Vorkommen derselben Art in konsistenter Weise lexikalischen Einheiten zuzuordnen, um sie für die weitere Arbeit zugänglich und verfügbar zu machen. Dazu müssen die Vorkommen erfasst, miteinander verglichen und analysiert werden. Die lexikalischen Einheiten werden durch Glossen benannt und ihre Formen mithilfe von HamNoSys festgehalten.

Die theoretische Grundlage für das Vorgehen bei der Transkription orientiert sich an dem empirischen Forschungsansatz von Horst Ebbinghaus und Jens Heßmann (1989, 1994a, Heßmann 2001) sowie an der grundlegenden Analyse der lexikalischen Struktur von Gebärdensprachen am Beispiel der Australischen Gebärdensprache von Trevor Johnston und Adam Schembri (1996, 1998, 1999, Johnston 1989).

Im Folgenden beschreiben wir die Grundlagen der im GLex verwendeten Glossentranskription.

Glossentranskription

In der Gebärdensprachforschung ist es üblich, lexikalische Einheiten (Gebärden) mithilfe von Glossen eindeutig zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden. Beim Transkribieren werden Vorkommen durch Glossen lexikalischen Einheiten zugeordnet. Um diese Zuordnung vornehmen zu können, müssen die Vorkommen verglichen werden. Hierbei gelten zwei Grundprinzipien:

Die Transkription wurde überwiegend von den gehörlosen Projektmitarbeitern durchgeführt, die aufgrund festgelegter Kriterien und ihres Sprachgefühls entschieden, welchen sprachlichen Formen die in den Antworten der gehörlosen Informanten enthaltenen Gebärdenvorkommen zuzuordnen sind.

Über diese grundsätzliche Zuordnung hinausgehend werden Glossen im GLex auch dazu verwendet, die Art der Gebärden sowie ihre Beziehungen untereinander zu kennzeichnen (s. Grundform und Modifikation, Ausführungsvarianten). Bei der Transkription wurde für jedes Vorkommen entschieden, ob es sich um eine produktive, eine konventionelle oder eine andere Art von Gebärde (s. Sonstige Gebärden) handelt. Darüber hinaus wurde bei konventionellen Gebärden entschieden, wie die Grundform der Gebärde aussieht und ob eine Abweichung von dieser Grundform vorliegt, ob es sich bei der Abweichung um eine regionale Variante oder eine individuelle Form handelt oder ob es eine Bedeutungsveränderung im Sinne einer Erweiterung der Bedeutung (Modifikation) ist. Je nach Art des Vorkommens wurde eine entsprechende Glosse vergeben.

Glossen

Eine Glosse ist ein Name oder Etikett für eine Gebärde bzw. Gebärdenform, das zur eindeutigen Identifizierung dieser Gebärde dient.45Die Wahl der Glossennamen wird jeweils an die Erfordernisse des Produkts angepasst und kann von Projekt zu Projekt unterschiedlich ausfallen. Daher kann es sein, dass Gebärden im GLex anders glossiert wurden als z.B. im Fachgebärdenlexikon Hauswirtschaft (Konrad u.a. 2000) oder Fachgebärdenlexikon Sozialarbeit/Sozialpädagogik (SLex) (Konrad u.a. 2003). Zum Beispiel ist die Gebärde EINSCHÄTZEN im SLex unter der Glosse UNGEFÄHR verzeichnet. Unter einer Glosse werden im GLex alle Handzeichen zusammengefasst, die sich nicht in relevanter Weise in Form und/oder Bedeutung und/oder Bild voneinander unterscheiden.

Nach den hier verwendeten Glossierungskonventionen ist eine Glosse eine komplexe Benennung, die aus verschiedenen Teilen bestehen kann: Alle Glossen enthalten als Kern ein Wort, den Glossennamen. Vor bzw. hinter dem Glossennamen können weitere Elemente (Kürzel, Zahlen, Buchstaben) stehen, die Art der Gebärde, Varianten, Modifikationen u. Ä. anzeigen.

Der Glossenname ist ein lautsprachliches Wort, das auf die Bedeutung der Gebärde verweist. In vielen Fällen deckt sich die Bedeutung des Wortes nicht genau mit der Bedeutung der Gebärde. Deshalb sollte der Glossenname nur als Identifikations- oder Erinnerungshilfe und nicht als Bedeutungsangabe oder Übersetzung verstanden werden. Als Glossenname wurde meist eine weit verbreitete Grundbedeutung der Gebärde gewählt. Manchmal wurde bei konventionellen Gebärden, die in verschiedenen Bedeutungen verwendet werden, auch ein Glossenname gewählt, der sich vor allem am Bild der Gebärde orientiert, das als gemeinsame Basis alle zugehörigen Bedeutungen miteinander verbindet, selbst aber nicht immer zu den im Lexikon verzeichneten konventionellen Bedeutungen dieser Gebärde gehört.46Dies ist z.B. der Fall bei PUNKTE1B, HAKENNASE, SCHLAUCH-IN-HALS1, SCHLEIER und PULVER1A. In wenigen Fällen wie z.B. bei UM stand auch ein typischerweise stark mit der Gebärde assoziiertes Mundbild Pate für den Glossennamen. Glossennamen werden in Großbuchstaben geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich hierbei nicht um deutsche Wörter in ihrer eigentlichen Verwendung handelt.

Unter einer Gebärde verstehen wir eine Form, die als identifizierbare Einheit der DGS nach den Regeln dieser Sprache gebildet und verwendet wird. Unterschiedliche Gebärden erhalten auch unterschiedliche Glossen. Je nach Art der Gebärde unterscheidet sich der Glossenaufbau leicht.

Glossenname
GELD
FRAU 4
KREBS 1 C
SPRITZEN 1 2
PUNKTE 1 1 B
RISS 1 2 A -im-Sitzen
RISS 1 2 A -im-Stehen
PROD. EMBOLIE
PROD. KINDSLAGE 30

Aufbau der Glossen: Die Erklärungen zu den einzelnen Spalten finden sich in den folgenden Kapiteln.

Unterscheidung von Gebärden mit gleichem Glossennamen

Die im GLex verwendeten Glossierungskonventionen führen dazu, dass es manchmal mehrere Glossen mit demselben Glossennamen gibt. Diese Glossen unterscheiden sich durch die an den Glossennamen angehängten Kürzel, Zahlen und Buchstaben. Im Folgenden werden die verschiedenen Fälle, die zu Gebärden mit gleichem Glossennamen führen können, anhand von Beispielen näher erläutert.

Gebärdensprachliche Synonyme

In Gebärdensprachen gibt es ebenso wie in Lautsprachen Synonyme. Gebärdensprachliche Synonyme sind verschiedene Gebärden, die dieselbe Kernbedeutung ausdrücken und häufig gegeneinander austauschbar sind.47Aufgrund der fehlenden Hochsprache und der verschiedenen Dialekte gibt es in der DGS oft mehrere synonyme Gebärden für denselben Begriff. Darüber hinaus führt auch die Möglichkeit, bildhafte Gebärden dynamisch mit Mundbildern zu kombinieren, dazu, dass häufig verschiedene Gebärden verwendet werden, um dasselbe Mundbild zu kontextualisieren. Dadurch, dass Mundbilder in einer gebärdensprachlichen Äußerung helfen, die jeweilige Bedeutung abzusichern, wird eine gewisse Variationsbreite und Vielseitigkeit der Handzeichen ermöglicht. Vgl. Ebbinghaus/Heßmann (1989, 71ff.), Heßmann (2001, Bd. 1, 93ff.) Synonyme Gebärden erhalten denselben Glossennamen, unterscheiden sich aber durch die daran anschließende erste Ziffer.

Beispielsweise enthält das GLex mehrere Gebärden, für die Bedeutung „Frau“: FRAU1, FRAU2, FRAU3 (mit den Ausführungsvarianten FRAU3A und FRAU3B), FRAU4 und BRUST4. Alle fünf Gebärden unterscheiden sich in ihrer Form. Betrachtet man die zugrunde liegenden Bilder dieser Gebärden, so wird bei der Gebärde BRUST4 die weibliche Brust als ein typisch weibliches Merkmal skizziert. Bei FRAU3 wird mit der Hand am Ohr ein Ohrring angedeutet. Bei FRAU1 wird stilisiert der Rand eines Kopftuchs oder einer Haube an der Wange dargestellt und bei FRAU2 könnte die Form auf eine stilisierte Darstellung vom Gehen mit Stöckelschuhen zurückzuführen sein. Das Bild der Gebärde FRAU4 ist nicht bekannt, jedoch unterscheidet sie sich in ihrer Form so stark von den anderen Gebärden, dass es sich dabei nicht um eine Ausführungsvariante handeln kann. Bei allen fünf Gebärden handelt es sich um verschiedene Gebärden, die dieselbe Bedeutung ausdrücken können (Synonyme). Vier dieser Gebärden haben im GLex denselben, naheliegenden Glossennamen FRAU3 erhalten. Da es sich aber um verschiedene Gebärden handelt und sich ihre Glossen voneinander unterscheiden müssen, ist die erste Ziffer hinter dem Glossennamen verschieden.

Mehrdeutigkeit des lautsprachlichen Worts

Nicht in jedem Fall handelt es sich bei Gebärden mit dem gleichen Glossennamen um gebärdensprachliche Synonyme. In einigen Fällen ergibt sich der gleiche Glossenname, der auf die Kernbedeutung der Gebärde hinweisen soll, durch die unterschiedliche lexikalische Struktur von DGS und deutscher Lautsprache. Nicht immer deckt sich der Grad der Ausdifferenzierung von Bedeutungen in diesen beiden Sprachen. Die als Glossennamen verwendeten lautsprachlichen Wörter können mehrere Bedeutungen haben, von denen sich jedoch nur eine Bedeutung mit einer Bedeutung der jeweiligen Gebärde deckt. Die Mehrdeutigkeit lautsprachlicher Wörter48Hierbei kann es sich um lautsprachliche Polyseme (ein Wort mit mehreren verwandten Bedeutungen) oder Homonyme (zwei Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen, die zufällig dieselbe Form haben) handeln. Die Unterscheidung zwischen Homonymen und Polysemen ist nicht immer klar zu treffen und hängt von der jeweiligen theoretischen Sichtweise ab. Vgl. hierzu auch Zöfgen (1989). kann dazu führen, dass manchmal Gebärden, die in der DGS unterschiedliche Bedeutungen haben, trotzdem denselben, dem Deutschen entliehenen Glossenamen erhalten. Um solche Gebärden voneinander zu unterscheiden, wird, wie bei Synonymen auch, eine unterschiedliche erste Ziffer an den Glossennamen angehängt.

Ein Beispiel für diesen Fall ist das Wort Brust, das im Deutschen sowohl die „weibliche Brust“ als auch „Brust“ im Sinne von Oberkörper/Brustkorb bedeuten kann. Für beide Bedeutungen gibt es in der DGS unterschiedliche Gebärden BRUST1, BRUST2, BRUST3 („Brust“ im Sinne von Brustkorb, Oberkörper) und BRUST4, BRUST5, BRUST6 („Brust“ im Sinne von weibliche Brust). Alle diese Gebärden haben im GLex denselben, im Deutschen mehrdeutigen Glossennamen bekommen.

Glossierung von Modifikationen

Gebärden können auf verschiedene Weise modifiziert werden, indem das Bild der Gebärde bedeutungsrelevant verändert wird (s. Beziehungen zwischen Gebärden). Modifikationen einer Gebärde bekommen den gleichen Glossennamen und die gleiche erste Ziffer wie ihre Grundform, es wird jedoch noch eine weitere Ziffer angehängt, um die Modifikationen von ihrer Grundform und verschiedene Modifikationen derselben Grundform voneinander zu unterscheiden.

Dazu ein Beispiel: Bei der Gebärde AUFPLATZEN11 wird durch die Glosse sichtbar, dass es sich um eine von der Grundform AUFPLATZEN1 abgeleitete Modifikation handelt.

Glossierung von Ausführungsvarianten

Verschiedene Ausführungsvarianten derselben Gebärde erhalten den gleichen Glossennamen und die gleiche Nummerierung. Sie werden nur durch die auf die Ziffern folgenden Buchstaben unterschieden wie z.B. bei MILCH1A, MILCH1B, MILCH1C und MILCH1D (s. Beziehungen zwischen Gebärden). Perspektivische Varianten werden wie andere Ausführungsvarianten glossiert. Varianten, die dadurch entstehen, dass im Sitzen eine Ausführung am Bein möglich ist, im Stehen aber nicht, erhalten dieselben Glossen und unterscheiden sich nur durch die an die Glosse angehängte Kennzeichnung „-im-Sitzen“ und „-im-Stehen“.

Glossierung von produktiven Gebärden

Produktive Gebärden werden durch ein dem Glossennamen vorangestelltes PROD. kenntlich gemacht. Da jede produktive Gebärde spontan neu gebildet wird, gibt es bei ihnen keine durch Konvention feststehenden Grundformen. Es ist deshalb auch nicht sinnvoll, hier von Grundformen, Modifikationen und Ausführungsvarianten zu sprechen. Dies wird auch durch die Zählung in den Glossen berücksichtigt. Produktive Gebärden, die denselben Glossennamen haben, aber voneinander unterschieden werden müssen, erhalten immer eine zweistellige Zählung. Gebärden, die ein anderes oder ähnliches Bild auf andere Weise (z.B. mit einer anderen Bilderzeugungstechnik) darstellen, unterscheiden sich durch die erste Ziffer nach dem Glossennamen. Gebärden, die sehr ähnlich sind, weil sie mit derselben Technik ähnliche bzw. verwandte Bilder darstellen, erhalten dieselbe erste Ziffer und werden nur durch die zweite Ziffer voneinander unterschieden. Beispiel: PROD.KINDSLAGE30 und PROD.KINDSLAGE31 im Gegensatz zu PROD.KINDSLAGE40.

HamNoSys

Da Glossen keine Informationen über die Form der Gebärden enthalten, wurde die Glossentranskription durch eine formseitige Transkription ergänzt. Hierzu wurde das Hamburger Notationssystem für Gebärdensprachen (HamNoSys)49Weitere Informationen über das Hamburger Notationssystem finden Sie unter Hanke/Schmaling (2004). verwendet. Damit kann die Form einer Gebärde mit Symbolen für Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung sowie Symmetriemarkern und anderen Zusatzsymbolen detailgenau erfasst werden. Mit HamNoSys können die Gebärden aller Gebärdensprachen notiert werden. Es ist vergleichbar mit dem Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA). Das IPA wird z.B. in lautsprachlichen Wörterbüchern verwendet, um die Aussprache eines Wortes zu notieren. Die meisten Symbole in HamNoSys sind, soweit möglich, ikonisch. Die Anfangskonfiguration besteht mindestens aus einer Handform und einer Handstellung und, wenn die Gebärde nicht im neutralen Gebärdenraum ausgeführt wird, einer Ausführungsstelle. Im Bewegungsteil werden alle Bewegungsabläufe notiert. Bei zweihändigen Gebärden beginnt die Notation mit einem Symmetriesymbol oder einer eckigen Klammer, in der bei nichtsymmetrischen die Handformen und -konfigurationen nacheinander für dominante und nichtdominante Hand angegeben werden. Bei zweihändigen Gebärden wird in jedem Abschnitt zuerst die Information für die dominante, dann für die nichtdominante Hand angegeben. Eine Notation ist immer aus Sicht des Gebärdenden zu verstehen.

Symmetriesymbol
Handform
Handstellung
Ausführungsstelle
Bewegung
mit Modifikation
   

In jedem Gebärdeneintrag findet man die vollständige HamNoSys-Notation der Gebärdenform (s. Aufbau eines Gebärdeneintrags). HamNosys wird im GLex bei der Zugriffsmöglichkeit über Handformen und bei der Suche über Gebärdenform verwendet. Bei der Suche über Handformen können alle im GLex enthaltenen Gebärden über den Formaspekt Handform gesucht werden, die durch ein HamNoSys-Symbol sowie eine Zeichnung dargestellt ist. In den Hinweisen zur Benutzung finden Sie noch weitere Informationen zur HamNoSys-Notation. Die Suche über Gebärdenform beruht auf der Grundlage der HamNoSys-Notationen der Gebärden. Diese Funktion ermöglicht es, nach den verschiedenen Formaspekten einer Gebärde zu suchen und die Treffermenge dadurch einzugrenzen. Damit ist ein bidirektionaler Zugang zu den im GLex benutzten Gebärden gegeben.