Titelseite

1. Einleitung

2. Beziehung des Systems X zu Papaspyrou 1990 und HamNoSys

Bei der Darstellung unseres Mischsystems (im folgenden: X) gehen wir wie folgt vor: Im vorliegenden Kapitel zeigen wir einige grundsätzliche Beziehungen von X zu Papaspyrou 1990 und HamNoSys auf. Die weiteren Kapitel dienen der Skizzierung ausschließlich von X, d.h. wir verzichten auf die explizite In-Beziehung-Setzung jeden Details von X zu Papaspyrou 1990 resp. HamNoSys. Die Parameter(bezeichnungen) von X ("Lokalitäten", "Bewegungen"...) orientieren sich an Ausführungsaspekten und lehnen sich sowohl an Papaspyrou 1990 wie an HamNoSys an. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie in Auswahl und Zuschnitt dem "phonologisch" orientierten System Papaspyrous verpflichtet sind: Statt einer Addition von Ausführungsaspekten strebt er ein Schriftsystem an, das über das Kriterium der Bedeutungsunterscheidung ausgewählte Aspekte der beiden Hauptparameter "Ausführungsorgan" und "Bewegung" (letztere mit einem statischen ­ "örtlichen" ­ und einem dynamischen Anteil) miteinander kombiniert. Die Bedeutungsunterscheidung wird auf der cherologischen ("phonologischen"), nicht auf der graphematischen Seite ermittelt; in Anlehnung an den Fachterminus "Phonographie" zur Charakterisierung von lautsprachbezogenen Schriftsystemen kann man also sagen, das Schriftsystem von Papaspyrou basiere auf dem Prinzip der Cherographie. Ziel von Papaspyrou 1990 ist jedoch nicht, eine "phonologische" Beschreibung einer Gebärdensprache zu liefern, sondern eine Gebärdensprach-Gebrauchsschrift (am Beispiel der DGS) vorzuschlagen. Sicher hat dieses Ziel im einzelnen Entscheidungen (mit-)bedingt, die in Papaspyrou 1990 leider nicht ausgeführt werden, für die Konstruktion und Begründung einer Gebärdensprachschrift aber von grundsätzlicher Bedeutung sind. Eine dieser Entscheidungen betrifft die Frage, wie stark der Zeichensatz reduziert ("vereinfacht"?) werden kann. (Wie stark darf man für Disambiguierung auf den Kon- und Kotext zählen?) Kann aber nicht gerade Redundanz (wie sie bei Papaspyrou 1990, p. 68f zum Beispiel im Bereich der "(BC)-Chereme" zu finden ist) möglicherweise eine "erleichterte" Handhabung der Schrift bewirken ?

Das System X ist eine Mischung aus Papaspyrou 1990 und HamNoSys (Version 3) insofern, als wir bis auf einige Modifikationen (s. u.) die Prinzipien und Einteilungen der Schrift von Papaspyrou 1990 übernehmen, aber dafür Symbole aus dem Zeichensatz von HamNoSys verwenden. Dies hat für HamNoSys-Geübte den Vorteil, die Bedeutung einzelner Zeichen nicht lernen zu müssen, aber auch den Nachteil, sich stets bewußt machen zu müssen, daß es sich nicht um HamNoSys handelt und viele Möglichkeiten der Beschreibung aus HamNoSys nicht übernehmbar sind. Als Beispiel seien hier die Symbole für Handformen genannt: Nur ein Bruchteil der in HamNoSys möglichen Handformbeschreibungen ist in X wiederzufinden. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß die in X übernommenen HamNoSys-Symbole für Handformen ein gegenüber HamNoSys erweitertes Bedeutungsspektrum haben. Entsprechendes gilt auch für Lokalitäten sowie Bewegungen.

Anhand der Vorstellung von X über die Aufteilung in Handformen - Lokalitäten - Bewegungen - Zweihändigkeit fällt als wesentliche Abweichung gegenüber HamNoSys das Fehlen von Handstellung (Fingeransatzrichtung und Handflächenorientierung) auf. Dies basiert auf der Annahme in Papaspyrou 1990, Handstellung könne aus den übrigen Parametern und mithilfe von Kenntnissen über die jeweilige Gebärdensprache beim Lesen erschlossen werden.

Aufgrund eines anderen Klassifizierungsansatzes sind die Handformnotationen in HamNoSys und bei Papaspyrou 1990 sehr unterschiedlich und auch unterschiedlich komplex zu notieren. So haben Formen erster Ordnung bei Papaspyrou zusammengesetzte HamNoSys-Äquivalente, und in HamNoSys einfachst schreibbare Handformen sind zweiter, dritter oder vierter Ordnung bei Papaspyrou. Wir haben uns entschieden, Handformnotationen (auch ihrem inneren Aufbau nach) aus HamNoSys in X zu übernehmen und lediglich die Auswahl der Handformen aus Papaspyrou 1990 beizubehalten.

Bei Lokalitäten wird ebenfalls das Inventar von Papaspyrou 1990 übernommen und mit HamNoSys-Symbolen verschriftlicht; eine Klassifizierung in Orte erster und zweiter Ordnung (Orte zweiter Ordnung werden in Papaspyrou 1990 durch Angabe der beiden umliegenden Orte erster Ordnung notiert) entfällt zugunsten des Rückgriffs auf die ikonischen Körperteilsymbole von HamNoSys. Lediglich bei einigen Seitenbereichen des Rumpfes bietet sich in X aufgrund der HamNoSys-Systematik eine Vereinfachung der Notation für den markierten Fall (nicht-dominante Seite des Körpers) an. Papaspyrous Differenzierung von Körpersegmenten und entsprechenden Raumkompartimenten wird ohne inhaltliche Änderung mit HamNoSys-Symbolen graphisch vereinfacht.

Bei den Bewegungen wird die Klassifikation nach Papaspyrou voll übernommen, lediglich die dort vorgenommene Aufteilung der Graph(em)e in Vollzeichen und Diakritika wird den Möglichkeiten von HamNoSys angepaßt. HamNoSys-BenutzerInnen wird auffallen, daß einige HamNoSys-Zeichen in X eine ganze Klasse von Bewegungen repräsentieren und damit weit über ihre Bedeutung in HamNoSys hinausgehen (vgl. oben auch für Handformen). Weiterhin ist zu beachten, daß einige in HamNoSys selbständig eine Bewegung bezeichnende Zeichen in X je nach Zusammenhang nur Modifikatoren eines Bewegungsoperators sind oder selbständig eine Bewegung bezeichnen.

Die Notation zweihändiger Gebärden ist bei Papaspyrou 1990 und folglich auch in X gegenüber HamNoSys stark eingeschränkt, eine Synchronisation innerhalb einer Gebärde ist nicht explizierbar. Zu beachten ist die Reihenfolge "nicht-dominant vor dominant" bei der Notation nicht-symmetrischer Zweihandgebärden.

Alphabetschriften, genauer: Orthographien für Lautschriften enthalten i. a. über das Phonographische hinaus heterogene grammatische Informationen; dazu gehört die Spatiensetzung zwischen Wörtern, Interpunktion, Groß-/Kleinschreibung, Morphemkonstanz u.a. Für geübtes Lesen gelten die morphosyntaktischen Hinweise gemeinhin als eine Erleichterung, für die Produktion eher als eine Erschwernis; auf jeden Fall ist ihre Beherrschung Frucht langer Schulstunden... Papaspyrou 1990 hat für seine Gebärdensprach-Gebrauchsschrift derartiges mitbeachtet; er schlägt u. a. die Trennung von Gebärden durch Spatien, ferner Interpunktion und Großschreibung von Prädikaten vor, läßt jedoch leider eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem schwierigen und komplexen Gegenstand vermissen. Von seinen Vorschlägen übernehmen wir in X probeweise das Spatium zwischen Gebärden (wie aber segmentiert man zuverlässig eine fließende gebärdensprachliche Äußerung in Einzelgebärden ? ...) sowie einiges aus dem Bereich der Interpunktion (s. u.). Insgesamt scheint uns auch dieser Gebrauchsschrift-Aspekt (für Gebärdensprachen) noch erheblicher Diskussion zu bedürfen ­ nicht zuletzt deshalb, weil Entscheidungen in diesem Bereich Einsichten in (DGS-) Grammatik erfordern, die noch nicht vorliegen.

3. Handformen
4. Lokalitäten
5. Bewegungen
6. Zweihändigkeit
7. Aufbau der Notation einer Einzelgebärde
8. Interpunktion
9. Literatur
10. Beispiele