HamNoSys im Überblick

Die nachfolgende Beschreibung des Hamburger Notationssystems kann, schon aus Platzgründen, nur Überblickscharakter haben.1

HamNoSys arbeitet mit einem Zeicheninventar von ca. 200 Symbolen, von denen die meisten eindeutig einer Klasse, bspw. der Beschreibung von Handformen, zugeordnet werden können. Wo immer es sich anbietet, ist die Form der Zeichen so gewählt, daß ein ikonischer Bezug zum Bezeichneten vorhanden ist.

Generelle Struktur

Eine HamNoSys-Notation einer Einzelgebärde beschreibt die Anfangskonfiguration, die sich aus nonmanuellen Komponenten, Handform, Handstellung und Lokation zusammensetzt, sowie die Aktionen, die im zeitlichen Nach- oder Nebeneinander die Parameter der Anfangskonfiguration verändern können.2 Bei zweihändigen Gebärden ist der Anfangskonfiguration ein Symmetrieoperator vorangestellt, der die zweihändige3 Gebärde als solche kennzeichnet und beschreibt, wie sich die Angaben zur dominanten Hand4 auf die nicht-dominante übertragen, sofern nicht explizit etwas anderes festgelegt wird.

Die gestrichelt umrahmten Elemente können entfallen, wenn Standardbelegungen zutreffen.

Handformen

Die Beschreibung der Handform setzt sich aus Symbolen zur Spezifikation der Grundformen und diakritischen Zeichen für Daumenstellung und Beugung zusammen. Weiterhin ist die Angabe von Abweichungen bzgl. der beteiligten Finger sowie Fingerteile möglich. In HamNoSys 3 wurde darüber hinaus die Möglichkeit geschaffen, Zwischen- oder Übergangsformen zweier notierbarer Handformen zu bezeichnen, um so auch graduelle Abstufungen abbilden zu können, die besonders in fernöstlichen Gebärdensprachen verwendet werden.5

Durch die Kombinierbarkeit entsteht eine Vielzahl darstellbarer Handformen, die prinzipiell alle in den bislang untersuchten Gebärdensprachen abgedeckten Handformen enthalten sollten.

Trotz der hohen Zahl der beschreibbaren Handformen enthält HamNoSys leider noch Lücken, die in zukünftigen Versionen gestopft werden müssen.

Handstellung

Die Handstellung wird in HamNoSys über die Kombination zweier Komponenten festgelegt: Die Fingeransatzrichtung (bei der Zeigehand also die Zeigerichtung) legt zwei Freiheitsgrade fest, die Handflächenorientierung den dritten. Durch die Staffelung der für beide Komponenten vorhandenen Symbole im 45°-Raster ergibt sich eine hinreichend fein differenzierbare Beschreibung der 3D-Ausrichtung der Hand, wobei Orientierungen im Raum in HamNoSys immer aus der Sicht des Gebärdenden angegeben werden.6

Die bei der Handstellung verwendeten drei Perspektiven und deren Kennzeichnung in den entsprechenden Symbolen durch senk- bzw. waagerechte Striche werden übrigens auch bei der Bezeichnung von Bewegungen benutzt. Auf die Möglichkeit, der Vollständigkeit halber redundante Symbole einzufügen, etwa , wurde verzichtet. Insofern besteht zwischen den drei angegebenen Perspektiven eine Rangfolge, die bestimmt, aus welcher Sicht welches Symbol erzeugt wird.

Zur Festlegung des dritten Freiheitsgrades werden entsprechend der 45°-Rasterung nur acht Symbole benötigt. Die Bedeutung eines Symbols wird in Abhängigkeit von der Fingeransatzrichtung definiert (Handfläche nach unten, Handfläche nach vorne usw.) die Bedeutung der anderen Symbole ergibt sich daraus durch Rotation.

Lokation

Wie bei der Handstellung wird bei der Lokation der Hand im Raum die Beschreibung auf zwei Komponenten verteilt: Während die erste Angabe die Lokation in der Frontalebene (x- und y-Koordinate) festlegt, kann eine zweite Komponente die antero-posteriore Ausrichtung (z-Koordinate) bestimmen. Fehlt diese zweite Komponente, geht man von einem natürlichen" oder normalen" Abstand der Hand vom Körper aus. Fehlen beide Angaben, befindet sich die Hand im neutralen Gebärdenraum", also mit normalem Abstand vor dem Oberkörper.

Bei zweihändigen Gebärden kann die Lokation zusätzlich das Verhältnis beider Hände zueinander beschreiben, da eine Beschreibung der Handkonstellation durch Beschreibung der Lokationen beider Hände über das körperbezogene Symbolraster in vielen Fällen nicht hinreichend genau leistbar wäre.

Aktion

Aktionen sind Kombinationen translatorischer und stationärer Bewegungen der Hand sowie nonmanueller Bewegungen, die zeitlich nacheinander oder gleichzeitig stattfinden.

Unter translatorischen Bewegungen werden in HamNoSys geradlinige und gewölbte Bewegungen, Zickzack- und Schlangenlinien sowie Kreisbewegungen und davon abgeleitete Bewegungen (wie elliptische Formen oder nicht-ganzzahlige Kreisumläufe) verstanden. Auch hier findet das Prinzip der 45°-Rasterung durchgehend Anwendung.

Bei den translatorischen Bewegungen wird zwischen absoluten Bewegungen (solchen mit Angabe einer Ziellokation) und relativen unterschieden.

Stationäre Bewegungen sind Ersetzungen von Handform oder Handstellung sowie Fingerspiel (undifferenzierter hochfrequenter Wechsel zwischen Handformen, die sich nur in den Beugung in den Fingerbasisgelenken unterscheiden).

Allen Bewegungskomponenten können dabei diakritische Zeichen für Größenangaben hinzugefügt werden. Ferner kann zu jeder Bewegung ein Ausführungsmodus spezifiziert werden, der den Bewegungssymbolen nachgestellt wird.

Bei der Wiederholung von Aktionen kann zwischen genauen Anzahlangaben und mehrfachen sowie rekurrierenden bzw. fortlaufenden Wiederholungsausführungen unterschieden werden.

Die bloße Hintereinanderschreibung von Aktionen bezeichnet deren Ausführung im zeitlichen Nacheinander. Aktionen in eckigen Klammern dagegen werden gleichzeitig ausgeführt. Durch diese Überlagerung können bspw. eine geradlinige Bewegung und eine mehrfach wiederholte Kreisbewegung zur Spiralbewegung kombiniert werden. Bei zweihändigen Bewegungen ist es außerdem möglich, verschiedene Aktionen für die dominante und die nichtdominante Hand bei gleichzeitiger Ausführung zu notieren.

Zweihändigkeit

Zweihändige Gebärden werden mit einem Symmetriemarker beginnend beschrieben. Dieser bestimmt, wie sich die Angaben zur dominanten Hand auf die nichtdominante übertragen. Ausnahmen hierzu sind an allen Stellen durch die getrennte Angabe der Konfigurationen bzw. Aktionen notierbar.

Beispiel: (NEUNZEHN): Beide Hände haben die gleiche Handstellung und führen dieselbe Bewegung aus, unterscheiden sich jedoch in der Handform.

Non-manuelle Komponenten

HamNoSys konzentriert sich, wie die meisten Notationssysteme, auf die Beschreibung der manuellen Aktivitäten innerhalb einer Gebärde. Die darüber hinausgehenden Ausdrucksmittel, die in der Gebärdensprache Verwendung finden, nämlich Gesichtsausdruck, Blick, Kopfhaltung, Oberkörperhaltung und -bewegung sowie Mundbild und -gestik, können nur teilweise beschrieben werden. Dazu bedient sich HamNoSys der Möglichkeit, statt der Hand ein anderes Artikulationsorgan zu spezifizieren, welches eine Aktion ausführt. An Aktionsarten steht das Inventar von Bewegungen zur Verfügung, welches jedoch primär für die Hände konzipiert worden ist. Damit sind zwar Schulterbewegungen, Kopfdrehungen etc. notierbar, nicht jedoch bspw. eine bestimmte Mimik.7

In Hinblick auf die Verwendung von HamNoSys als Formkodierung in Lexika ist dieser Mangel weniger ein Problem als für andere Anwendungen, etwa Transkriptionen, da allgemein davon ausgegangen wird, daß non-manuelle Komponenten weniger auf der lexikalischen als beispielsweise auf der grammatischen Ebene Verwendung finden.8


Fussnoten

1 Eine ausführliche Darstellung findet sich in Prillwitz et al. 1989 und Hanke et al., in Vorbereitung.

2 Die Hinzunahme der Handstellung gegenüber den von Stokoe verwendeten Parametern beruht insbesondere auf den Arbeiten von Battison (vgl. Battison 1974 und Battison 1978).

3 Hier und im folgenden wird nicht zwischen zwei- und beidhändigen Gebärden unterschieden, sondern einheitlich der Begriff zweihändig verwendet.

4 Die dominante Hand ist diejenige, mit der im Normalfall einhändige Gebärden ausgeführt werden, bei Rechtshändern also meist die rechte.

5 Vgl. etwa die Folge 906.1-585.1-589.2-629.1-635.1 in Wrigley (1990), die die deutlich unterschiedenen Abstufungen in Handformen zur Beschreibung von Objekten mit kugelförmigen Oberflächen in Thailändischer Gebärdensprache widerspiegelt.

6 Die Abbildungen stammen aus AG Fachgebärdenlexika (1993) und wurden in Bezug auf die Form der Zeichen modifiziert.

7 Wollte man Mimik als Produkt von Bewegungen auffassen, wäre hierzu eine wesentlich detailliertere Beschreibung notwendig, als dies für die manuellen Kanäle erforderlich ist. Ekman/Friesen (1978) beispielsweise verwenden in ihrem Facial Action Coding System Tupel von Aktivierungszuständen sogenannter Action Units, die einzelnen Muskeln oder gar Teilen davon entsprechen.

8 Dies ist jedoch eher als Tendenz zu verstehen. So führt Boyes Braem (1995) non-manuell realisierte Adjektive und Adverbien auf. Mundbilder sind gar primär dem lexikalischen Bereich zuzuordnen. (Zur Verbindung zwischen manueller Gebärde und Mundbild siehe Vogt-Svendsen (1984) und Ebbinghaus/Heßmann (1995).


Literaturangaben:

Arbeitsgruppe Fachgebärdenlexika (ed.) (1993): Fachgebärdenlexikon Computer. Hamburg: Signum (CD-ROM)

Battison, Robbin (1974): Phonological deletion in American Sign Language. In: Sign Language Studies. 5 3 - S. 1-19

Battison, Robbin (1978): Lexical borrowing in American Sign Language. Silver Spring, MD: Linstok Press

Boyes Braem, Penny (1995): Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung. 3., überarbeitete Auflage. (Internationale Arbeiten zur Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser; 11) Hamburg: Signum

Ebbinghaus, Horst / Heßmann, Jens (1996): Signs and words: Accounting for spoken language elements in German Sign Language. In: Edmondson, William H. / Wilbur, Ronnie B. (eds.): International Review of Sign Linguistics. Vol. 1. Hillsdale, N.J.: Lawrence Erlbaum Ass. - S. 23-56.

Ekman, Paul / Friesen, Wallace V. (1978): Facial action coding system: A technique for the measurement of facial movement: Investigator's guide 2 parts. Palo Alto: Consulting Psychologists Press)

Hanke, Thomas / Meyenn, Alexander v. / Zienert, Renate (in Vorbereitung): HamNoSys Version 3. (Zentrum für Deutsche Gebärdensprache. Arbeitspapiere)

Prillwitz, Siegmund et al. (1989): HamNoSys. Version 2.0; Hamburger Notationssystem für Gebärdensprache. Eine Einführung. (Internationale Arbeiten zur Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser; 6) Hamburg: Signum

Stokoe, William C. (1960): Sign language structure: An outline of the visual communication systems of the American deaf. (Studies in Linguistics. Occasional Paper; 8) Buffalo, NY: University of Buffalo

Vogt-Svendsen, Marit (1984): Word-Pictures in Norwegian Sign Language (NSL) -A preliminary analysis. Working Papers in Linguistics, Nr. 2. Trondheim: University of Trondheim - S. 112-141

Wrigley, Owen (ed.) (1990): The Thai Sign Language Dictionary. revised and expanded edition. Bangkok: NAD in Thailand (NADT)